Kristina Hauff: Unter Wasser Nacht

Still und schön ist dieser Roman, so still wie die Trauer der Protagonist*innen Thies und Sophie um ihren Sohn, der in der Elbe, nur einen Katzensprung vom Haus entfernt, ertrank. So schön wie das Leben der Nachbarn, enger Freunde von Thies und Sophie. Doch nach einer solch unfassbaren Tragödie, dem Tod eines Kindes, kann nichts mehr schön sein. Daran zerbrechen Freundschaften, Existenzen, Ehen.

Seit Monaten gehen sich Thies und Sophie aus dem Weg, einander, aber auch ihren einst guten Freunden Inga und Bodo und deren Vorzeigekindern Lasse und Jella. Das Letzte, was sie jetzt ertragen können, ist die Bilderbuchfamilie von nebenan. Denn einst haben sie einen Traum geteilt: zwei Häuser auf einem Hof, ein gemeinsamer Garten, eine gemeinsame Scheune, eine gemeinsame Wiese, ein gemeinsames Leben. Inga und Bodo bekamen Lasse und Jella, Thies und Sophie nach langem Warten endlich ihren Aaron. Die Mütter schieben zusammen die Kinderwägen durch die Straßen des kleinen Ortes im Wendland, die Väter mähen zusammen den Rasen und waschen die Autos. Klischee pur, aber Träume sind nun mal verschieden. Und Lebenslinien auch. Denn während bei den Nachbarn alles Idylle pur ist, lässt Aaron seine Eltern nicht zur Ruhe kommen. Er drangsaliert Mitschüler, verliert immer mehr Freunde, fliegt schließlich von der Schule. Sophie und Thies kommen nicht an ihn heran, verstehen nicht, was in ihm vorgeht, wie sie ihn auf die richtigen Bahnen lenken können, wissen nicht, wann er diese überhaupt verlassen hat. Eine lebenslange Eskalation ohne äußere Auslöser.

Und dann ist er eines Tages einfach fort. Stirbt ohne Erklärung, ebenfalls ohne äußeren Auslöser, das zumindest sagt die Polizei, als sie die Ermittlungen einstellt und auf Unfalltod plädiert. Zurück bleiben in ihrer Trauer gefangene, ratlose Eltern. Sophie sucht Zuflucht in der Arbeit, in ihrem Labor, wo sie Wasserproben aus der Elbe untersucht, Thies kann nicht mehr als Lehrer arbeiten und sich ständig fremden Kindern aussetzen, sondern wandert Tag ein, Tag aus am Ufer der Elbe entlang.

Die Routine aus Schuld und Trauer, aus unzähligen unbeantworteten Fragen wird unterbrochen, als Mara in den Ort kommt, eine Fremde, ungemein anziehend und mysteriös. Sie sei auf der Suche nach jemandem, sagt sie und erobert beide Familien wie im Sturm, bringt sogar die alten Freunde einander wieder näher. Doch auf die Begeisterung folgt bald schon Ernüchterung, als sie eine merkwürdig enge Beziehung zu Jella aufbaut und deren Eltern vorwirft, ihre Tochter gar nicht zu kennen, ihre Verletzungen nicht zu sehen. Inga schiebt die Vorwürfe von sich, ihre Tochter ist perfekt, super Noten, Beste im Chor und im Geigenunterricht, beliebt und hübsch. Nichtsdestotrotz verunsichert, bohrt sie dennoch nach, und es bedarf nicht viel Kratzens, damit die Oberfläche bricht und der schöne Schein verblasst: Jella war am Abend seines Todes mit Aaron zusammen.

Nun sind es Sophie und Thies, die nachbohren, die mit Jella reden wollen, auf Antworten hoffen, die das Mädchen nicht geben kann – oder will. Wieder ändert sich die Gruppendynamik, alle werden gezwungen, tief in sich hinein zu hören, durch all die Schichten aus Schuldgefühlen und Ängsten, Wut, Schmerz und Enttäuschung, Hoffnung und auch Liebe. Um endlich doch noch die Wahrheit über Aarons Tod zu erfahren. Und über Mara.

Wie schon geschrieben, ist Unter Wasser Nacht ein stiller Roman, ein eleganter Roman, voller Melancholie und voller Anmut trotz aller Verzweiflung. Die Handlung setzt nicht kurz nach Aarons Tod ein, sondern einige Monate später, da sind die ersten Trauerphasen schon durchlebt, es gibt keine lindernde Betäubung mehr, keine Verdrängung. Im Gegenteil, die Protagonist*innen hatten genug Zeit, sich mit ihrem Anteil an dem Unglück zu beschäftigen. Und so treten ihre Gefühle offen zutage, wenn sie in wechselnden Perspektiven auf das aktuelle und jüngst vergangene Geschehen blicken. So entsteht ein Geflecht aus verschiedensten Emotionen von bodenloser Trauer bis hin zu Erleichterung über Aarons Tod, aus dem sie sich einen Weg bahnen müssen – und wir mit ihnen.

Über die Autorin: Kristina Hauff hat Erfahrungen in verschiedensten Berufen gesammelt, war u. a. Theaterregisseurin, Buchhändlerin, Journalistin und Synchronautorin, bevor sie zum Schreiben kam. Unter ihrem Klarnamen Susanne Kliem veröffentlicht sie Kriminalromane. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

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