Max Lobe: Drei Weise aus dem Bantuland

Literatur, die Brücken schlägt – genau so ein Roman ist Drei Weise aus dem Bantuland.

Das Leben in der Schweiz ist für Mwána nicht so leicht wie erhofft. Er kam in das Land seiner „weißen Cousins“, um Gombo zu verdienen und seine Familie in Bantuland zu unterstützen, vor allem seine Mutter, die nicht nur eine Großfamilie am Laufen hält, sondern gleich eine ganze Gemeinde. Die Weichen sind auch schon gestellt: Er hat einen Universitätsabschluss in der Tasche und begibt sich auf Stellensuche, das sollte kein Problem sein, seine Noten sind super. Und doch will es nicht klappen, während seine ganzen ehemaligen Kommiliton*innen tolle Posten erhalten. Sein Ehemann Ruedi ist auch keine Hilfe, er steckt noch mitten im Studium und weigert sich, Geld von seinen nicht unvermögenden Eltern anzunehmen.

Die einzige Option ist ein dreimonatiges Praktikum in einer politischen Organisation, die sich für Chancengleichheit einsetzt. Denn die Stimmung in der Gesellschaft ist aufgeheizt. Eine Partei skandiert im Wahlkampf, „schwarze Schafe“ aus dem Land vertreiben zu wollen. Doch für die Protestmärsche gegen diese Stimmungsmache ist Mwána zu entkräftet, sein Gehalt reicht gerade mal für die Miete, das Essen ist knapp, und die Telefonkarten, um seine Mutter im fernen Afrika anrufen zu können, kosten ein Vermögen. Doch diese Verbindung kann er nicht abreißen lassen, nicht zuletzt weil seine Mutter krank ist.

Als Putzkraft im Krankenhaus von Lugano sorgt schließlich Mwánas Schwester Kosambela dafür, dass die Mutter in die Schweiz gebracht wird, wo ihre medizinische Versorgung sichergestellt ist. Krebs lautet die Diagnose, was für die Familie ein Schock ist. Krebs ist eine Krankheit der Weißen, nicht der Schwarzen, das ist einfach nicht möglich. Inbrünstig betet Kosambela zu den Göttern und den Ahnen, die Mutter zu heilen, während Mwána den täglichen Kampf ums Überleben ausficht.

Wider Willen muss ich lachen. Das ist eines der wenigen Dinge, die uns von Zeit zu Zeit gelingen. Wenn alles schiefläuft, lachen wir. Wenn ich eine Zahlungserinnerung oder eine Mahnung für eine Rechnung bekomme, von der ich weiß, dass ich sie sowieso nicht bezahlen kann, lachen wir. Wenn wir Bauchschmerzen haben oder Verstopfung, weil wir uns ständig mit Linsen vollstopfen, lachen wir. Wenn wir alte und durchlöcherte Hemden, Hosen, Schuhe oder Unterwäsche tragen müssen, lachen wir. Aber wenn ich allein bin, ganz allein, wenn Ruedi an der Uni ist und ich allein zu Hause bleibe, dann weine ich.

Bemerkenswert an diesem Roman finde ich wie eingangs erwähnt den Spagat zwischen den Kulturen. Mwána will sich integrieren, er will Geld verdienen, Steuern zahlen, ein normales Schweizer Leben mit seinem Schweizer Mann führen, ohne dabei seine Wurzeln verleugnen zu müssen. Dass die gesellschaftlichen Systeme in Afrika und Europa komplett unterschiedlich funktionieren (Gemeinschaft in Afrika vs. Individualismus in Europa), wird dabei nur am Rande thematisiert, aber das eine schließt das andere nicht aus. Es muss kein Entweder-oder sein, das zeigt auch, dass viele Begriffe aus der Bantu-Sprache stehen bleiben. Gombo ist so ein Beispiel. Auch die Götter und Ahnen, die Kosambela so hoffnungsvoll anbetet, werden nicht erklärt. Das alles ist für den Ich-Erzähler Mwána selbstverständlich, hier muss sich also derdie Leserin anpassen und mitdenken. Integration funktioniert nun mal in beide Richtungen.

Genauso selbstverständlich ist leider der Rassismus, der Mwána immer wieder entgegenschlägt, der ihn aber überhaupt nicht erstaunt oder auch nur ärgert. Als er im Zug kontrolliert wird, empören sich die Mitreisenden über die offensichtliche Ungleichbehandlung durch die Polizei, Mwána hingegen schläft einfach wieder ein. Dass er keinen Job findet, deprimiert ihn zwar. Doch den Grund dafür thematisiert er nicht. Selbst den Kampf gegen die „schwarze Schafe“-Partei führen seine „weißen Cousins“ ambitionierter als er. Genauso wenig thematisiert wird übrigens die Homosexualität des Protagonisten, was ich super finde, weil es einfach nichts zu thematisieren gibt (auch wenn ich das gerade tue). Es ist selbstverständlich für Mwána (und den Autor), schwul zu sein, warum also etwas erklären oder gar rechtfertigen?

Auch auf die Gefahr hin, das Buch tot zu analysieren, möchte ich noch erwähnen, wie gut es mir gefällt, dass das Vorurteil der eingewanderten Sozialschmarotzer hier sozusagen umgedreht wird: Nicht Mwána lebt auf Kosten des Systems oder seines Schweizer Mannes, sondern anders herum. Ruedi weigert sich, eine Geldquelle aufzutun, was für ihn als Einheimischen so viel leichter wäre. Die finanzielle Versorgung bleibt komplett an Mwána hängen, bis sogar seine Mutter aus Bantuland Lebensmittel schickt, damit die zwei nicht verhungern. Am Ende bleibt keine andere Wahl, als Essenspenden von einer Hilfsorganisation anzunehmen.

Da ich den Autor jetzt eh schon ins Spiel gebracht habe: Sein Lebensweg ähnelt dem seines Protagonisten auffallend. Auch er kam von Kamerun in die Schweiz, studierte dort und lebt mittlerweile mit doppelter Staatsbürgerschaft in Genf. 2021 wird er an einem Kolloquium am Institut Français in Berlin über afrikanische Literatur teilnehmen.

Drei Weise aus dem Bantuland wurde 2020 als eines der besten Independent-Bücher Bayerns ausgezeichnet. Eine gute Entscheidung!

Über den Autor: Max Lobe (* 1986 in Duala, Kamerun) immigrierte 2004 in die Schweiz, wo er Kommunikationswissenschaft und Journalismus studierte, gefolgt von Politik und öffentlicher Verwaltung. Drei Weise aus dem Bantuland ist sein zweiter Roman, der mit dem Prix du roman des Romands ausgezeichnet wurde und auf der Shortlist des Prix des Cinq Continents stand, und die erste Übersetzung des Autors ins Deutsche.

Über die Übersetzerin: Katharina Triebner-Cabald (* 1986 in Coburg) studierte Romanistik und Germanistik sowie Literaturübersetzung und lebt als freie Übersetzerin in Straßburg.

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