Denn wenn die wahren Dimensionen der Scham bekannt würden, müßte sich die Menschenwelt in ein Hospital der Nachsicht verwandeln, wozu ihr jegliche Fähigkeit abgeht.
Zugegeben, das Zitat hat so gar nichts mit der Jahreszeit Winter zu tun, aber mit diesem Winter schon. Ich erlebe Abgründe der Scham, die ich nie für möglich gehalten hätte. Und jede Nachsicht geht mir persönlich ab, da hat Wilhelm Genazino („Die Liebesblödigkeit“) vollkommen recht. Querdenker, Impfgegner, Virologenhass etc. Mir fehlen die Worte angesichts von so viel unfassbarer Ignoranz – und da rede ich nur von Themen rund um Corona; von dem ganzen Rest will ich gar nicht erst anfangen. Da bekommt Karl Lauterbach Hate-Mails, weil er die Wahrheit ausspricht? Vorstandsvorsitzende dürfen plötzlich laut sagen, lieber Tote als wirtschaftliche Einbußen? Ja, wo sind wir denn bitte gelandet? Die, die permanent Meinungsfreiheit brüllen, um ihre rassistischen und antisemitischen Parolen loszulassen, wünschen jemandem den Tod, der die wissenschaftlichen Fakten ausspricht, und bauen sich frei nach Pippi Langstrumpf die Welt, wie sie ihnen gefällt.
Nachrichten zu schauen wird zu einem Spießrutenlauf in Fremdschämen, und manchmal wünschte ich mir, ich wäre in einem skurrilen Paralleluniversum gelandet. Bin ich aber nicht. Also muss ich sie wohl aushalten: die wahre Dimension der Scham.