Maria Peters: Die Dirigentin

Nach ihrem Film über Antonica Brico – den ich leider nicht sehen konnte – hat die niederländische Drehbuchautorin und Regisseurin auch einen Roman über die in Vergessenheit geratene Dirigentin geschrieben. Man darf das Wörtchen „Roman“ beim Lesen allerdings nicht vergessen. Denn eine Biografie ist dieses Buch absolut nicht, sondern eine ordentlich verkitschte Geschichte, für die Antonia Brico lediglich das Vorbild lieferte.

Die junge Frau, Antonia, liebt die Musik, das Klavierspiel im Besonderen, und träumt davon, eines Tages selbst ein Orchester dirigieren zu dürfen, was 1926 allerdings so gut wie undenkbar ist. Als Platzanweiserin in der New Yorker Oper übt sie heimlich auf der Herrentoilette mit einem Essstäbchen – die Partituren kennt sie auswendig. Als sie diesen Job verliert, muss Ersatz her, und zwar ausgerechnet als Klavierspielerin in einem Varietétheater. Wenn das ihre Eltern wüssten! Als diese ihr jedoch wenig schonend eröffnen, dass sie gar nicht ihre leiblichen Eltern sind und sie quasi aus den Niederlanden entführten, ändert sich Antonias Leben schlagartig. Sie lässt ihren Geliebten, den reichen Konzertmanager Frank, zurück und reist nach Amsterdam, um ihre leibliche Familie zu finden. Einmal in Europa, nutzt sie die Chance und bewirbt sich an der Berliner Staatlichen Musikakademie, wo sie die (einzige) Schülerin von Karl Muck wird und endlich die Chance bekommt, Dirigentin zu werden.

Nach ersten Erfolgen vor großen Orchestern kehrt Antonia Jahre später in die USA zurück. Neugierde ist wohl die häufigste Reaktion auf eine Frau, die sich zutraut – um nicht zu sagen, anmaßt –, auf dem Podium zu stehen, doch eine wirkliche Chance bekommt sie nicht. Antonia wäre aber nicht so weit gekommen, wenn sie nicht über einen beträchtlichen Kampfeswillen verfügen würde: Sie gründet ein Frauenorchester, denn nicht nur sie als Dirigentin, auch andere Musikerinnen erhalten keine Festanstellungen, zumal während der Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre. Die Reaktionen: lächerlich, frech, zum Scheitern verurteilt!

Erst als sich die First Lady höchstpersönlich, Eleanor Roosevelt, für das Frauenorchester einsetzt und die Schirmherrschaft übernimmt, wird das Debütkonzert des neu gegründeten Frauenorchesters ein überwältigender Erfolg.

Damit endet der Roman, doch natürlich noch lange nicht die Laufbahn von Antonia Brico, die zeitlebens nie eine Festanstellung bei einem professionellen Orchester erhielt und ihren Lebensunterhalt als Klavierlehrerin verdiente. Eine ihrer Schülerinnen, die Countrysängerin Judy Collins, drehte Jahre später einen Dokumentarfilm über Antonia Brico, der 1975 für einen Oscar nominiert wurde. Es gibt noch so viel mehr über diese mutige Frau zu sagen, die unter anderem mit Albert Schweitzer befreundet war, für das in einem solchen Roman leider kein Platz ist.

Die für meinen Geschmack zu kitschige Erzählweise und die den Figuren regelrecht übergestülpte feministische Haltung haben mich gestört, trotzdem bereue ich die Lektüre nicht, immerhin wurde ich auf ein Thema aufmerksam gemacht, dem ich bisher keine Beachtung geschenkt habe. Bis heute haben es Dirigentinnen schwer, auch wenn langsam eine Änderung eintritt. Dennoch: Von 130 Orchestern allein in Deutschland werden nur drei von Frauen dirigiert: Julia Jones als Generalmusikdirektorin des Sinfonieorchesters Wuppertal, Joana Mallwitz als Leiterin der Staatsphilharmonie Nürnberg, Marie Jacquot als stellvertretende Generalmusikdirektorin des Mainfranken Theaters Würzburg (Stand: September 2020). Auch die Bayreuther Festspiele haben angekündigt, 2021 erstmals eine Dirigentin an Bord zu haben.  Weltweit betrachtet sieht die Frauenquote übrigens deutlich besser aus als im ach so liberalen und fortschrittlichen Mitteleuropa.

Über die Autorin: Maria Peters (* 1956 in Willemstad, Curaçao) ist eine niederländische Drehbuchautorin und Regisseurin. Nach ihrem Jura-Studium in Amsterdam wechselte sie an die Niederländische Filmakademie. Zusammen mit ihrem Mann Dave Schram sowie Hans Pos gründete sie die Produktionsfirma Shooting Star Filmcompany. Ihre Filme wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet.

Über den Übersetzer: Stefan Wieczorek (* 1971 in Koblenz) ist Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Herausgeber und lebt in Aachen.

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