Kazuo Ishiguro: Der begrabene Riese

Voller Symbolkraft und Weisheit!

Der begrabene Riese von Kazuo Ishiguro

Wir befinden uns in Britannien, irgendwann nicht allzu weit nach König Artus‘ Tod. Der Frieden zwischen Sachsen und Britanniern ist brüchig, hält aber an. Über das geschäftige Leben, stets bedroht von Menschenfressen, Drachen und Kobolden, hat sich ein mysteriöser Nebel gelegt, der allen das Gedächtnis stiehlt. Nur durch Glück fällt Axl und Beatrice, einem alten britannischen Paar, ein, dass sie einen Sohn haben – zu ihm wollen sie aufbrechen. Genau wissen sie den Weg nicht, sie wissen auch nicht, wo ihr Sohn mittlerweile lebt, doch sie vertrauen auf Gott und einander. Im ersten Dorf, in dem sie Rast machen, treffen sie auf den sächsischen Krieger Wistan, der den Dorfbewohnern hilft, einen Jungen aus ihren Reihen vor gigantischen Menschenfressern zu retten. Zurück im Dorf, gilt er jedoch als infiziert und soll verstoßen werden. Also nehmen sich Wistan, Axl und Beatrice seiner an und nehmen ihn mit zu den Mönchen hoch oben auf einem Berg. Auf dem Weg dorthin treffen sie den alten Ritter Gawain, einen Neffen von König Artus, der seit Jahr und Tag durch die Lande streift. Trotz Streit zwischen ihm und Wistan gehen sie im Guten auseinander und finden Zuflucht im Kloster, wo jedoch nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Der weithin berühmte Heiler unter den Mönchen ist selbst schwer verletzt, seltsame Vögel nisten sich in den alten Mauern ein und Wistan erkennt überall sächsische Fallen, die ihm das Leben retten, als der britannische Machthaber Lord Brennus seine Truppen zum Kloster schickt. Nur durch Glück und dem unerschrockenen Ritter Gawain überleben alle. In dem Glauben, nun endgültig auseinanderzugehen, treffen sie sich doch wieder: Oben auf dem höchsten Berg, wo die Drachin Querig schläft, deren Atem den Vergessensnebel verursacht. Nun geht es um Leben und Tod – nicht nur für die Beteiligten, sondern für alle Völker, denn nur der Nebel verhindert, dass alle in blutigem Racherausch übereinander herfallen. Merlin selbst verzauberte die Drachin, um endlich Frieden zu schaffen – ein Werk, das Wistan nun zerstören will, um der Gerechtigkeit willen, die die Sachsen von den Britanniern fordern …

Kazuo Ishiguro hat Fragen von globaler und historischer Bedeutung in eine spannende, wenn auch unaufgeregte, fast schon skurrile Aventüren-Handlung gepackt: Ist blutige Rache durch Gerechtigkeit entschuldbar? Oder ist Vergessen besser als Rache? Können diplomatische Lösungen von Dauer sein, wenn das Blut insgeheim kocht? Ist so etwas wie Frieden überhaupt möglich unter den Menschen? Diese Fragen lässt er sowohl im Großen austragen – im Zwist zwischen Britanniern und Sachsen, zwischen Gawain und Wistan – als auch im Kleinen, zwischen Axl und Beatrice, im Leben eines Paars, das im Laufe einer langen Ehe viel durchgestanden hat, einander viel verletzt, aber auch viel verziehen hat. Auch für ihre Ehe hat es Konsequenzen, ob das Vergessen anhält oder die Erinnerungen wiederkehren, schließlich soll ihr Treueversprechen auch über den Tod hinaus gelten.

Der Autor versteht es meisterhaft, diese Fragen in einer fast gänzlich metaphorischen Handlung auf zwei Ebenen unterzubringen, die selbst dann viel Spaß macht, wenn man den Antworten nicht auf den Grund gehen möchte. Mit großer Beobachtungsgabe lässt er seine Figuren Dialoge ausfechten, die tief in ihre Psyche blicken lassen und mich oft dazu verleitet haben, sie schütteln zu wollen. Ein wichtiges Buch von großer literarischer Strahlkraft und politisch-historischer Reichweite!

Über den Autor: Kazuo Ishiguro (* 1954 in Nagasaki, 1960 Übersiedlung nach England) studierte in London Philosophie und Englisch. Sein Bestseller „Was vom Tage übrig blieb“ wurde 1989 mit dem Booker Prize ausgezeichnet und verfilmt. Sein Werk, bestehend aus Erzählungen und Romanen, wurde in 28 Sprachen übersetzt.

Über die Übersetzerin: Barbara Schaden studierte Romanistik und Turkologie in Wien und München. Seit 1992 arbeitete sie als freiberufliche Übersetzerin und übertrug bereits Siddharta Mukherjee, Allen Frances, und Umberto Eco ins Deutsche.

 

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