Ein großartiges Romankonzept super umgesetzt!
Angelika Overath verspricht stets interessante Geschichten auf sprachlich hohem Niveau. Auch mit ihrem neuen Roman „Sie dreht sich um“ enttäuscht sie diese Erwartung keineswegs. Der Titel kündigt etwas an, das eigentlich unmöglich ist – aber Overath macht es möglich: Anna wird von ihrem Mann nach vielen Jahren Ehe und zwei erwachsenen Kindern betrogen. Statt zu schreien oder zu weinen, packt sie ihre Sachen und fliegt nach Edinburgh, anschließend nach Kopenhagen, nach Boston, nach St. Moritz, nach Paris und zurück nach Dänemark. In jeder Stadt besucht sie Museen und Galerien und findet immer ein Bild, auf dem eine Frau von hinten zu sehen ist, eine Frau, die sich vor den Betrachtern verschließt. Anna weiß, dass sie nur lang genug hinsehen muss, um die Geheimnisse dieser Frauen herauszufinden. Der richtige Blick genügt – und die Bilder beginnen, zu ihr zu sprechen.
So erfährt sie vom untreuen Maler von „Jakobs Kampf mit dem Engel oder Vision nach der Predigt“ (Gaugin), der mit seinem Bild die bretonischen Mädchen in ein hilfloses Liebesdurcheinander stürzt, oder von Vilhelm Hammershøi, der nur wenig Interesse an seiner Frau zeigt, dafür aber gern nackte Männer malt, nicht genug auf die Details achtet, wie sein Modell, sein Hausmädchen, bemängelt …
Die Künstler meinen leicht etwas anderes, weil das leichter ist. Sie weichen aus in weiche Ziele. Sie beugen sich über unser Leben, als interessiere es sie. Es interessiert sie aber nicht.
Anna begegnet auf ihrer Bilderreise einer selbstlosen Künstlerfrau, die sich zum Modell herablässt, obwohl sie selbst eine berühmte Malerin hätte werden können, einer jungen Frauen, die später übermalt wird, um die Aussage des Bildes zu steigern, einer Malerin in der dänischen Künstlerkolonie Skagen, die ihre eigene Bildsprache findet. Gerade dieses letzte Bild von Anna Ancher ist eine großartige Steigerung des gesamten Romankonzepts, da Anna nun selbst die Schauplätze der Bilder betritt, und von der bloßen Voyeurin zur Agierenden wird. Für ihre finale Selbsterkenntnis ist das unerlässlich.
In unglaublich kompakten, dichten Sätzen, die zum Drin-Versinken einladen, hebt Overath die Gefühlswelten all dieser Frauen, die natürlich die Protagonistin Anna auf verschiedene Arten spiegeln, auf die Bildebene. Sieben Städte, sieben Bilder und sieben Frauen sind notwendig, damit sie bei sich selbst ankommen und sich ihrer Ehe stellen kann. Mich hat fasziniert, wie anders Overath an die Bildbetrachtung herangeht, es geht nicht (oder weniger) um den Maler, seine Maltechnik, den Farbeinsatz etc., sondern um die Modelle, die den Blicken eigentlich entzogen sind. Hinter jedem Modell verbirgt sich ein Leben.
Ein fantastisches Buch über Frauen, Geschichte und Kunst, über das Sehen und Zuhören. Alles meisterhaft miteinander verknüpft.
Über die Autorin: Angelika Overath (* 1957 in Karlsruhe) lebt mit ihrer Familie im Engadin. Sie schreibt nicht nur wunderbare Romane (dieser ist ihr dritter), sondern als Journalistin auch viel beachtete Reportagen für u. a. die Frankfurter Rundschau, die Neue Zürcher Zeitung, die Zeit, das Reisemagazin Merian und für die Zeitschriften du, GEO und mare. Außerdem unterrichtet sie an der Schweizer Journalistenschule MAZ. Sowohl für ihre journalistischen als auch für ihre schriftstellerischen Leistungen wurde sie vielfach ausgezeichnet und mit Stipendien geehrt.
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